Erfahrungsbericht von Dagmar Becker-Schmidt
Es ist ungewöhnlich kühl an diesem 12. Juni. Wir, elf Schöffen und ein Student der Sozialarbeit, treffen uns vor der Jugendarrestanstalt Düsseldorf. Nach der Anmeldung öffnet sich eine schwere Stahltür zum Innenhof. Hinter uns das ehemalige Amtsgericht von Gerresheim, vor uns das Hafthaus, vormals eine Untersuchungshaftanstalt. Unsere Personalausweise werden eingesammelt. Der freundliche Justizvollzugsbeamte verspricht, gut darauf aufzupassen. Frau Gabriele Kuhn und Herr Dirk Weber heißen uns willkommen. Schöffen sind gern gesehene Gäste, die leider nicht oft vorbeikommen. Frau Kuhn ist Jugendrichterin und Leiterin der Jugendarrestanstalt in Personalunion. Herr Weber leitet den Sozialdienst in allen Jugendarrestanstalten in Nordrhein-Westfalen. Hiervon gibt es landesweit fünf, darunter eine für Mädchen und junge Frauen. Was kann Jugendarrest und was nicht? Unsere Exkursion startet in einem Gruppenraum. Es ist Freistunde und Begegnungen mit externen Besuchern sollen vermieden werden. Wir sitzen mit Frau Kuhn und Herrn Weber im Kreis, neugierig auf die Fakten und Eindrücke, die uns die kommenden drei Stunden erwarten.

Besuchergruppe zusammen mit Anstaltsleiterin Gabriele Kuhn; © Foto: privat
Die Jugendarrestanstalt Düsseldorf stellt 70 Plätze bereit, wovon derzeit 15 belegt sind. Die Altersspanne der Insassen reicht von 14 bis 21 Jahren. Der Jugendarrest steht zwischen ambulanten Maßnahmen und Freiheitsstrafen, die ab sechs Monaten in Jugendhaft zu verbüßen sind. Meist sind die Jugendlichen hier, weil sie Auflagen nicht erfüllt oder Gewalt- und Drogendelikte begangen haben. Die Dauer kann von einem Wochenende bis zu vier Wochen reichen, durchschnittlich zehn Tage, eine – zu kurze? – Zeit, um den Jugendlichen Perspektiven auf ein straffreies Leben aufzuzeigen. Es bedarf eines ‚Davor‘ und eines ‚Danach‘. Für jeden Arrestanten wird der Aufenthalt in Zusammenarbeit mit der Jugendgerichtshilfe mit einem Plan vorbereitet. Das Übergangsmanagement begleitet die Jugendlichen manchmal noch über Monate nach der Entlassung. Die Veränderungsmotivation bestimmt, wie schulische oder berufliche Maßnahmen greifen. Ob der Weg aus der Delinquenz gelingt, hängt auch von der Peer-Group und dem familiären Umfeld ab, Faktoren, die sich dem Einfluss von Justiz und Sozialarbeit oft entziehen.
Die Freistunde ist zu Ende. Die Jugendlichen sind wieder in ihren Hafträumen. Wir können unseren Rundgang fortsetzen. Jede Ankunft beginnt in der Kleiderkammer, wo die Kleidung der Jugendlichen auf mitgebrachten Drogen oder Waffen durchsucht wird. Es gibt keine Anstaltskleidung, doch denen, die mit wenig Gepäck anreisen, kann aus dem Fundus ausgeholfen werden. Hinzu kommt die Ausstattung für die Dauer des Arrests: Kissen, Decken, Bettwäsche, Geschirr, Besteck, Spülschüssel, Eigenverantwortung. Mobiltelefone und Zigaretten müssen abgegeben werden. In der Anstalt herrscht Rauchverbot. Die Hafträume sehen aus wie im regulären Strafvollzug. Ein Bett, ein Regal, Tisch, Stuhl, Waschbecken und Toilette. Wenn die Jugendlichen keine Freistunde haben, am Sport- und Gruppenangebot teilnehmen oder unterrichtet werden, bleiben sie alleine in ihren Einzelzellen.
Über den Hof gehen wir in den vorderen Teil der Jugendarrestanstalt: ein Amtsgebäude aus der Jahrhundertwende, hohe Decken, helle Wände mit bunten Bildern. Der Fitnessraum ist modern eingerichtet. Unter Anleitung eines Sportbeamten können sich die Insassen an Hanteln, am Laufband oder Sandsack trainieren. Sport und Lernen sind Teil des pädagogischen Konzepts. Im Schulraum steht das kleine Einmaleins neben Gleichungen mit einer Unbekannten. Der Gymnasiallehrer, fester Teil der Belegschaft, engagiert sich, Lücken zu schließen und Wissen zu vermitteln. 43 Prozent der Jugendlichen im Arrest haben keinen Schulabschluss. Die Wände der Bibliothek hat ein Justizvollzugsbeamter mit bunter Streetart gestaltet. Es gibt Werke, denen man wünscht, sie würden von mehr Menschen bewundert. In den Regalen stehen Romane, Comics, Science Fiction, Wörterbücher und Spiele. Wenn sie alleine sind, lesen die Jugendlichen. Das Angebot der Bibliothek wird gerne angenommen. Schwarze Buchstaben auf Papier können der Schlüssel zu einer neuen Welt sein.
Die herzliche Art aller Beschäftigten fällt von Beginn auf. Frau Kuhn und Herr Weber bestätigen, dass man mit Freundlichkeit und Zuwendung mehr erreichen kann als mit Strenge. Die Rückfallquote liegt bei 60 Prozent. Den 40 Prozent wünschen wir, dass sie es schaffen. Wir erhalten unsere Personalausweise zurück. Die Eindrücke, die wir mitnehmen, sind bleibend. Frau Kuhn, Herr Weber, hierfür unseren aufrichtigen Dank. Die schwere Eisentür öffnet sich wieder zum Parkplatz. Unsere Exkursion ist zu Ende.
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